Newsletter Arbeitsrecht 2020 I

EuGH 16.07.2020: Datenschutzniveau US-EU nicht mehr geregelt- EuGH kippt US-Privacy-Shield Agreement
Für die Nutzer gegenwärtig stark nachgefragter Videoplattformen mit US-Basis (zoom, microsoft team viewer, skype etc.) wie auch für jeden anderen Datentransfer in Richtung US ist diese Entscheidung von erheblicher Relevanz. Die Annahme der Gleichwertigkeit von US-Datenschutzstandards mit EU-Vorgaben der DSGVO hat der EuGH mit diesem Urteil verneint. Er erklärt die Schutzschildabreden des Privacy Shields für unzureichend. Die bisher akzeptierten Standardvertragsklauseln zwischen Europäischem Datenverarbeiter und US- Counterpart stellen keine hinreichenden Sicherheiten für die Garantie der Einhaltung europäischen Datenschutzniveaus in den US. Konsequent ist jede, auf nicht nachregulierten Standardklauseln basierende Datenverarbeitung mit US-Bezug gegenwärtig mit erheblichen rechtlichen Risiken belastet. Dies betrifft naturgemäß auch Anwendungen zur Durchführung von Homeoffice-Videokonferenzen etc.

Arbeitsgericht Gera 18.06.2020: Überstundenzahlung und Arbeitsvertrag
Der Arbeitsvertrag enthielt die Klausel, dass Überstunden in Freizeit auszugleichen sind. Das Arbeitsgericht gestand Überstundenzahlung jedoch zu, weil das Arbeitsverhältnis beendet war. Der Vertrag enthielt ferner die Klausel, wonach „monatlich bis zu 10 Überstunden mit der Gehaltszahlung abgegolten seien, bei Teilzeit werden diese entsprechend umgerechnet“. Die Klägerin war in Teilzeit tätig. Das Gericht hielt die Klausel nach AGB-Recht gem. § 307 BGB für unwirksam weil anhand dieser Klausel nicht transparent erkennbar ist, wie viele der 24 Wochenstunden überschreitenden Stunden vergütungsfreie Überstunden darstellen sollen.
Der Überstundennachweis gelang der Klägerin in erheblichen Teilen, die Ausschlussfristenregelung war unwirksam, weil sie den Mindestlohn nicht ausnahm.
Der Arbeitsvertrag wies also einige Angriffspunkte auf, welche bei sorgfältiger Gestaltung vermeidbar gewesen wären. Wir empfehlen insofern die regelmäßige Aktualisierung der Verträge.

BAG 18.03.2020: Fahrzeitenregelung – Arbeitszeit, Vergütung
Die streitgegenständliche Regelung besagte, dass die ersten und letzten Anfahrtsminuten zum Kunden nicht als Arbeitszeit erfasst werden, sofern sie nicht 20 min. jeweils übersteigen. Der Arbeitnehmer machte auch die Erfassung dieser insgesamt 40 min. als Arbeitszeit geltend. Das BAG erkennt an, dass Fahrten von der Wohnung zum Betrieb und Arbeitsverrichtung sodann im Betrieb keine Arbeitszeit darstellen kann, weil ausschließlich eigennützig motiviert. Im Gegenzug dazu sei alles, was durch den Arbeitgeber per Direktionsrecht angeordnet werden kann, grundsätzlich Arbeitszeit. Die Anfahrt gehöre zu den arbeitsvertraglichen Hauptpflichten, wenn der Mitarbeiter zum Kunden fährt und dort Serviceleistungen erbringe. Dies unabhängig davon, ob er den ersten und letzten Kunden von Betrieb aus ansteuere oder direkt von Wohnsitz (je nach Entfernung ggf. zu differenzieren). Hier liege nämlich eine, mit der Erbringung der eigentlichen Tätigkeit unmittelbaren Zusammenhang stehende Tätigkeit des Mitarbeiters.
Wie diese grundsätzlich zu erfassende Arbeitszeit für die An- und Abfahrt letztlich zu vergüten sei, ist Frage der vertraglichen Abrede. Ein Teil der Fahrzeit kann durchaus ohne gesondertes Entgelt behandelt werden, zumindest wenn in der Gesamtbetrachtung der Mindestlohn eingehalten wird. Ohne eine solche, wirksame Abrede wird die volle Vergütung fällig. Im entschiedenen Fall scheiterte die getroffene betriebliche Regelung (Betriebsvereinbarung) an der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG wegen eines bestehenden, grundsätzlich anwendbaren Tarifvertrags. Auch die Tarifsperre wegen nur üblicher Tarifregelung muss selbst bei nicht im Arbeitgeberverband organisierten Unternehmen beim Abschluss von freiwilligen Betriebsvereinbarungen beachtet werden.

LAG Thüringen 25.06.2020: Entschädigung AGG - unzulässige Berufungseinlegung
Im Verfahren um eine Entschädigung nach Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz wegen der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch / sexueller Diskriminierung unterlag die Klägerin und legte Berufung ein unter Antrag auf Bestellung einer Notanwaltin nach § 78b ZPO. Die Klägerin legte dar, keinen Anwalt, welcher zur Vertretung bereit wäre, finden zu können. Diesen Vortrag hielt das LAG für unzureichend bei qualitativer und quantitativer Wichtung der Versuche der Klägerin, eine Anwältin zu finden. Die durch die Klägerin selbst eingelegte Berufung sah das LAG als unbedingt eingelegt und deshalb als unzulässig. Diese sei nur durch einen Anwalt zulässig. Eine Einlegung bedingt auf den Fall der Bestellung einer Notanwältin sei nicht ersichtlich.

BAG 07.07.2020: Vorlagen an EuGH – Verfall Urlaub bei fehlendem Hinweis seitens Arbeitgeber und Dauererkrankung – Erwerbsminderung
Unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidungen vom 06.11.2018, wonach Urlaub nur dann untergehen könne, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer klar und unmissverständlich auffordert, Urlaub zu nehmen, dieser anderen Falls verfällt, fragt das BAG nunmehr beim EuGH an, ob der Urlaubsanspruch auch ohne diesen Hinweis z.B. bei Dauererkrankung von 15 Monaten nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt. Die bisherige EuGH Rechtsprechung bezog sich nur auf den Verfall am Ende des Urlaubsjahres.

Angesichts der seit 01.12.2014 bestehenden Erwerbsunfähigkeit des Klägers komme es, so die Beklagte, nicht auf die Mitwirkung, sprich die Aufforderung durch den Arbeitgeber an, der Verfall des Urlaubsanspruchs finde 15 Monate nachlaufend jedenfalls statt. Das BAG sieht hier eine vorrangige Auslegungshoheit beim EuGH, immerhin hätte ja im Jahre 2014 vorhergehend Urlaub gewährt werden können und der Arbeitgeber insofern seine, durch den EuGH am 06.11.2018 (!) definierten Mitwirkungspflichten nachkommen können. Auf die mittlerweile durch das LAG Hamm vertretene Meinung, bei Nichtleistungsfähigkeit bedürfe es keines Hinweises, solange der Urlaub tatsächlich gar nicht genommen werden kann, geht das BAG nicht ein.

BAG 30.07.2020: Verletzung Nebenpflichten bei zahlreichen Emails an Koll.
Der von der verhaltensbedingten Kündigung betroffenen Arbeitnehmerin wurde vorgeworfen, in bestimmten Zeiträumen zahlreiche Emails an Kollegen versendet und damit den Betriebsfrieden gestört zu haben. Weitere 33 Mails an die Vorgesetzte habe die Vorgesetze in Ihrer Gesundheit belastet. Inhalt der Emails waren „Anregungen zu Fragen der Arbeitsgestaltung, operativen Abläufen (Anschalten des Lichts im Großraumbüro etc).“ Die Emails verursachten beim Mitarbeitergremium eine gewisse Lästigkeit, verleumderische oder anderweitig angreifbare Inhalte konnten jedoch durch das LAG nicht festgestellt werden. Das BAG beurteilte die Kündigung als unwirksam. Für sich genommen stellt selbst eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Betriebsfriedens noch keine Pflichtverletzung dar, sondern nur deren mögliche Folge. Eine alleinige Beeinträchtigung des Betriebsfriedens ohne konkrete Feststellung einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung reicht zur Annahme eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes nicht aus. Da das Unternehmen keine spezifischen Verhaltensregelung zur Email aufgestellt hatte – was per Direktionsrechts möglich gewesen wäre – sei auch keine Unterlassungspflicht begründet worden, gegen welche die Mitarbeiterin hätte verstoßen können.

LAG Schleswig 16.01.2020: Rückforderung bei freiem Mitarbeiter bei Einordnung als abhängig Beschäftigter durch Dt. Rentenversicherung
Nach durchgeführter sozialversicherungsrechtlicher Betriebsprüfung ordnete die DRV den als Honorarkraft geführten Pfleger als Arbeitnehmer ein und erhob entsprechende Sozialversicherungsbeiträge nach. Der Arbeitgeber forderte die im Vergleich zum sich ergebenden Nettolohn überzahlten Honorarteile des freien Mitarbeiterhonorars zurück. Grundsätzlich lässt das BAG eine solche Forderung rechtlich zu. Das LAG stellte sich jedoch dagegen mit dem Argument, hier sei zwar wegen des unwirksamen freien Mitarbeitervertrags ein Fall des Wegfalls des Rechtsgrundes eröffnet und mithin grundlegend ein Rückforderungsanspruch nach § 812 BGB. Da das Unternehmen die Fehlerquelle jedoch selbst begründet habe, stehe der Grundsatz von Treu und Glauben der Rückforderung entgegen. Schließlich habe sich der Mitarbeiter darauf eingestellt, so z.B. seine Krankenversicherungsbeiträge selbst getragen.

Die Sicht des LAG ist nachvollziehbar. Wir beobachten zudem einen zunehmenden Trend der DRV auf Basis der letzten BSG Urteile des 2019 u.a. auch Geschäftsführer häufig als abhängig Beschäftigte einzuordnen (Ausnahme: echte Mehrheitsgesellschafter > 50 %). Sowohl in diesem als auch im Bereich der freien Mitarbeiter gilt es die Problemlage bei Vertragsgestaltung im Auge zu behalten mit Blick auf eine häufig auch zivilrechtlich notwendige Rückabwicklung/Korrektur in sozialversicherungsrechtlicher und steuerlicher Hinsicht.

LAG Berlin 25.08.2020: Zeiterfassung mit Fingerabdrucksensor und Pflicht zur ärztlicher Vorsorgeuntersuchung
Der Kläger wendet sich gegen die Erfassung seiner Arbeitszeit im Zeiterfassungssystem mittels Fingerabdrucksensors. Das verwendete System liest dabei lediglich die sog. Minutien, also die Koordination der Schnittpunkte eines Fingerabdrucks ein, ermöglicht jedoch nicht die vollständige Erfassung/Speicherung des Fingerabdrucks, auch eine Reproduktion des Fingerabdrucks durch das System ist nachträglich nicht möglich. Der Kläger wendet sich gegen zwei erhaltene Abmahnungen (Nichtnutzung Fingerabdrucksystem) und gegen eine weitere Abmahnung wegen der Nichtwahrnehmung einer durch den Arbeitgeber angeordneten Gesundheitsuntersuchung.

Das LAG hält eine Nutzungspflicht des Zeiterfassungssystems nicht für gegeben und daher die diesbezüglichen Abmahnungen für unberechtigt. Zwar erfasse § 26 BDSG n.F. die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses. Das LAG maß die Erhebung besonders geschützter Daten jedoch zusätzlich am Grundsatz der Erforderlichkeit und verneinte diese. Das Unternehmen habe zahlreiche andere Möglichkeiten der Arbeitszeitkontrolle. Die durch das Unternehmen intendierte Kontrolle der Arbeitszeit rechtfertige keine derartige Preisgabe und Verarbeitung gesundheitsbezogener Mitarbeiterdaten.

Das LAG betont zudem, dass es dem Unternehmen nicht freistehe, nach Gutdünken die Teilnahme an betriebsärztlichen Vorsorgeuntersuchungen anzuordnen. Insbesondere mangels hinreichender, durch das Unternehmen durchgeführter Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG sei keine sog. Pflichtvorsorge vorzunehmen. Es mangele daher an einer Rechtsgrundlage für eine Teilnahme an einer solchen Untersuchung, der Arbeitsvertrag des Klägers sah keine Verpflichtung zur Teilnahme vor.

BAG 13.05.2020: Tarifbezugnahme, Günstigkeit, Ausschlussfristen
Die Tarifvertragsparteien sahen im TV die Geltung der Tarifnormen nur dann vor, wenn gleichzeitig die „Tarifnormen arbeitsvertraglich nachvollzogen würden durch eine sog. Bezugnahmeklausel“. Die Klägerin, selbst IG-Metall Mitglied, verlangte tarifliche Leistungen, der Arbeitgeber verweigerte dies weil im Arbeitsvertrag keine Bezugnahme auf den TV enthalten sei. Das BAG hielt dies für rechtsfehlerhaft. Der Tarifvertrag als solcher könne keinen Abschluss einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel zur Voraussetzung für Ansprüche aus dem Tarif machen, dies umgehe die unmittelbare und zwingende Wirkung des TV nach § 4 Abs. 1 TVG. Der TV gelte kraft beidseitiger Verbandszugehörigkeit unmittelbar auch für die Klägerin. Theoretisch sei zwar denkbar, die Klägerin könne an das Erfordernis der Bezugnahmeklausel, wie im Tarif geregelt, gebunden sein als Ausfluss der normativen Wirkung. Die normative Wirkung des TV würde sodann (Quasi im Zirkelschluss) das Erfordernis der Bezugnahme anordnen. Diese Tarifregelung ist jedoch unwirksam sei, bestehe kein Erfordernis einer Bezugnahme. Zudem stehe auch das Günstigkeitsprinzip entgegen. Müsse der Arbeitnehmer zusätzlich eine Bezugnahmeklausel auf den TV im Arbeitsvertrag haben, entstünden Ansprüche aus dem Tarif immer nur mit dem tariflichen Inhalt. Die Möglichkeit, im Arbeitsvertrag etwas Günstigeres zu Regeln und den Arbeitnehmer damit über das Günstigkeitsprinzip zu privilegieren, entfiele dann.